Die Fläche lässt der Fantasie Raum
Rainer Vogt

Malen ist Dialog. Aus der ursprünglichen Dreierbeziehung zwischen Maler, Bild und Gegenstand hat sich ein echtes Zwiegespräch entwickelt. Der kritische Wettbewerb zwischen Bild und Objekt, Schein und Sein, den der Maler moderierte, verlor sich vor fast genau hundert Jahren. Wirklich aus der Welt ist das Motiv, wie das alles um uns her laienhaft heißt, deshalb aber nicht.

Fast exemplarisch zeigt sich das dialogische Wesen der Malerei im Oeuvre der Stuttgarter Malerin Christine Gläser. Wie im Lehrbuch lassen sich die Mittel studieren, die der Malerei zu Gebote stehen. Farbe in all ihren Ausprägungen und Nuancen, pastos und flüssig, deckend und transparent. Rinnsale in alle vier Richtungen verraten den prozessualen Charakter des Dialogs. Oben und unten werden relative Größen.

Großes Gewicht erwirbt der unverwechselbare Duktus, mit dem Christine Gläser ihren Argumenten den Stempel aufprägt. Dann kann Blau sich „Vor Rot“ (so ein Titel) behaupten, dann können Farben entgegen ihrer Neigung in die Pflicht genommen werden. (....) Dann bleibt die Fläche nicht heilig, öffnet sich vielmehr und lässt der Fantasie Raum.

In neuerdings effektiv in den Raum greifenden Scherenschnitten aus Graupappe ist die Malerin diesen Zwischenräumen auf der Spur, die wie ein Skelett die Statik von Gemälden spürbar werden lassen – ohne Farbe. (...)